Defusion in ACT - blaue Linien des Verstandes erkennen

Schritte über die blaue Linie, statt sich von den Vorstellungen des Verstandes gefangen nehmen zu lassen. Video: https://youtu.be/yXbk4GQjlYc


Näheres zu der Rolle des Verstandes beim Umgang mit emotionalen Risiken unter:

www.psychotherapie-bewegt.de/regeln

 

Näheres zu Akzeptanz- und Commitmenttherapie unter:

www.psychotherapie-bewegt.de/act


Psychotherapeut Reimer Bierhals arbeitet in Bamberg mit ACT - der Akzeptanz- und Commitmenttherapie
Defusion in ACT hilft, die blauen Linien des Verstandes zu erkennen.

Die nächste blaue Linie kommt bestimmt: anstatt das verhindern zu wollen, können wir wählen, ob wir uns an diese Linie halten

Übung im Umgang mit blauen Linien

Üben Sie sich darin, mit Abstand auf die blauen Linien zu schauen, die Ihr Verstand tagein, tagaus zieht:

 

Machen Sie sich dazu zu Tagesbeginn eine Notiz darüber, was Ihnen heute schwerfallen wird. Schreiben Sie die Begründung Ihres Verstandes dazu, warum das für Sie schwer ist, und welchen "Blaue Linie"-Vermeidungs-Ratschlag Ihnen ihr Verstand gewohnheitsmäßig gibt.

Diese "blauen Linien" können auch kleine Sachen sein, bei mir z.B.: Konto-Auszüge überprüfen. An sich nichts Gefährliches; im fusionierten Zustand macht mein Verstand daraus (ich gestehe das mit dem Gefühl von Scham): "Wenn Du sie ansiehst, wirst Du möglicherweise feststellen, dass was nicht geklappt hat. Dann musst Du Dich drum kümmern, und das wird unangenehm. Du kriegst wieder den Beweis, dass Du kein kaufmännisches Geschick hast.' [wenn ich mich noch mehr verstricke, wird daraus: ...] 'der Beweis, dass Du Dein Leben nicht auf die Reihe kriegst. Deshalb mach' es ein andernmal!".

 

Notieren Sie sich dann, was heute bei Ihrer Sache ein konkreter Mini-Schritt über die vom Verstand gezogene blaue Linie wäre (bei mir: Konto online dennoch aufrufen, und Aufgaben notieren, die sich aus der Überprüfen evtl. ergeben).

Schreiben Sie dazu, was Ihnen dieser Mini-Schritt emotional abverlangt. Bei mir: flauer Bauch, leichtes Gefühl von Unsicherheit.

 

Gehen Sie die Erfahrung der Mini-Handlung an diesem Tag ein. Vergleichen Sie dann, was Sie erlebt haben bei Ihrer Mini-Handlung mit den Vorhersagen Ihres Verstandes. Machen Sie sich dazu eine Notiz. Falls Sie die Erfahrung vermieden haben, notieren Sie, was Ihnen das Vermeiden der Erfahrung kostet. Überprüfen Sie die Kosten mit den Vorhersagen Ihres Verstandes.

 

Was wäre, wenn uns unser eigener Verstand blaue Linien setzen würde, und wir daran glaubten, dass wir diese nicht überschreiten könnten? Blaue Linien, die uns vorschreiben, wer wir sein müssten und wie wir uns zu verhalten haben, damit uns nichts passiert. Nicht aus böser Absicht unseres Verstandes, sondern weil er uns vor möglichen schmerzhaften Erfahrungen bewahren will. Und zwar dadurch bewahren will, indem wir diese Erfahrungen gar nicht erst eingehen. Moment: wieso blaue Linien, man spricht doch gewöhnlich von roten Linien? Schauen Sie sich zur Antwort das Video von der Ameise und den blauen Linien an. Beobachten Sie dabei, was Ihnen durch den Kopf geht, bevor sie weiterlesen.

Reaktionen des Verstandes

Nun, hat Ihr Verstand verwundert kommentiert: "Die kann doch locker über den Strich!"? Oder hat Ihr Verstand gerätselt: "Wieso tut die Ameise das?"? Möglicherweise hat Ihnen Ihr Verstand spontan den Auftrag gegeben: "Du musst sofort die Ursache googeln, was die Ameise an dem Strich stört!". Vielleicht hat Ihr Verstand die Ameise sogar vermenschlicht, indem er mutmaßt: "Die traut sich nicht. Die hat Angst.". Oder Ihr Verstand hat sich wütend mit der Ameise vergeschwistert: "Gemein, wie der Stifte-Halter das Insekt gefangen nimmt und es der Selbstbestimmung beraubt!".

Vorstellungen & Vorhersagen

Obwohl ich mir schon x-mal dieses Video fasziniert angesehen habe, und immer wieder derlei Regungen meines Verstandes dabei erlebe, habe ich bis heute den Impuls widerstanden zu recherchieren, und mich zum Ameisen-Experten zu bilden, der Antworten weiß. Denn ich will uns keinesfalls mit Ameisen vergleichen. Meiner Ansicht nach sind wir Menschen weitaus komplexer gebaut als eine Ameise. Vor allem unterscheidet uns der Verstand, der Vorstellungen und Szenarien produzieren kann, was in Zukunft alles passieren wird. Allerdings könnte es sein, dass wir uns wie die Ameise in dem Video gegenüber den Vorhersagen des eigenen Verstandes verhalten, wenn wir mit diesen Vorstellungen verschmelzen. Das heißt, wenn wir den Abstand verlieren, so als wären die Vorstellungen unseres Verstandes wie blaue Linien, die sich nicht überschreiten lassen.

Defusion statt Gläubigkeit

Nicht die Gedanken an sich schränken uns dann ein, sondern unser Glaube, dass sie Realität sind statt Interpretationen und Vorhersagen. Erst wenn wir uns von dieser Fusion mit den Gedanken lösen (de-fusionieren), sehen wir mehr Möglichkeit, die blaue Linie zu überqueren. Entscheidend ist jedoch (wie in dem Video) es tatsächlich zu tun. Nicht nur darüber nachzudenken. Statt im Kopf zu leben, besser mit den Füßen echte Schritte machen. In der Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) geht es deshalb nicht darum, Sorgen-Gedanken zu stoppen, richtige von falschen Gedanken zu unterscheiden oder gar positiv zu denken. Sondern es geht darum, Abstand zu den eigenen Gedanken herzustellen und von nicht-hilfreichen Regeln loszulassen.

Erfahrungen eingehen

Vor allem aber geht es darum, das eigene Verhalten an konkreten Erfahrungen statt ausschließlich an den Sorgen und Befürchtungen zu orientieren. Defusionieren mit den blauen Linien des Verstandes ist dafür hilfreich und lässt sich üben. Am besten, indem man immer wieder im Alltag das emotionale Risiko eingeht, Schritte über die blaue Linie zu machen, im Dienste einer persönlich wertgeschätzten Richtung für das eigene Leben. Und diese konkrete Erfahrung dann gelten lässt.