Meditation als Weg um Bewusstheit im Alltag herzustellen

Psychotherapeut Reimer Bierhals übt als ACT - Therapeut mit Klienten Achtsamkeit
Meditieren bedeutet Bewusstheit herstellen: der Meditations-Lehrer Rinpoche vergleicht das mit dem Moment, wo wir einen Fluß sehen. Sobald wir den Fluß sehen, sind wir nicht mehr im Fluß. Dann spielt es keine Rolle wie turbulent der Fluss ist.

Ich habe lange Zeit ein gespaltenes Verhältnis zum Meditieren und zu Achtsamkeitsübungen gehabt. Prinzipiell fand ich es eine tolle Idee - das Üben selbst jedoch nicht. Ich hatte die Vorstellung, einen friedvollen, gelösten Zustand erreichen zu müssen (und hatte auf jeden Fall die Sehnsucht danach). Das funktionierte umso weniger, je mehr ich mich dafür anstrengte und versuchte, mich verbissen darauf zu konzentrieren. Und so habe ich das Meditieren frustriert immer wieder Einschlafen lassen. Und bin im Alltag um so schneller wieder in meine gewohnten automatischen Handlungsmuster gerutscht, wenn unangenehme Gefühle aufgetaucht sind. Deshalb habe ich mich so ertappt gefühlt von dem Spruch, den ich mal für ein Lesezeichen abgeschrieben habe (ohne mehr zu wissen, woher er stammt): "Zu denken, dass wir zu gestresst sind, um unseren Geist zu trainieren, ist so als würden wir denken, dass unser Kopf zu sehr schmerzt, um eine Aspirin zu nehmen."
Eine geleitete Meditation von Eckhart Tolle hat jedoch meinen Bezug zum Meditieren radikal verändert. Ich höre in der Vorstellung immer noch, wie er in dem Audio auflacht und auf Englisch in etwa sagt: "Einige Meditierende glauben, einen bestimmten Zustand als Ziel des Meditierens erreichen zu müssen." [in diesem Moment lacht er noch mal sanft auf und fährt fort]: "Dabei vergessen sie, dass das ständige erneute Wahrnehmen des aktuellen Zustand das eigentliche Ziel ist." Damit meint er: die Aufmerksamkeit, wie bei einem Scheinwerfer, der an einem Gummiband wegschnalzt, immer wieder sanft auszurichten, sobald man bemerkt, dass er gerade wieder weggeschnalzt ist. Und das Wegschnalzen selbst als völlig normal zu betrachen. Das ermöglich dann, das Bewusstheits-Objekt mit Interesse erneut auszuleuchten und es zu beobachten.

Das Schöne an diesem Verständnis von Meditation ist: es lässt sich in jedem Moment praktizieren, weil Abschweifen dann nicht mehr als "Fehler" oder "Verwerflich" vom Verstand etikettiert werden muss, sondern als wünschenswert, um Bewusstheit üben und die Aufmerksamkeit neu ausrichten zu können. Statt nach "Frieden" zu suchen und jegliche Empfindung von "Unfrieden" aus der Aufmerksamkeit verbannen zu wollen, besteht die Magie beim Meditieren darin, immer wieder von Neuem eine mitfühlende, interessiert-wohlwollende und orientierungsgebende Beobachterhaltung aufzubauen - gegenüber allem, was sich innerlich beobachten lässt:

  1. mitffühlend über den Körper wahrnehmen, egal ob "positive", "negative" oder "neutrale" Empfindungen, und diese Empfindungen beobachten statt bewerten;
  2. interessiert-wohlwollend wie eine WissenschaftlerIn neugierig all das Innere erkunden (statt automatisch zu bewerten und ggf. "Negatives" verwerfen zu wollen)
  3. orientierungsgebend sich sanft daran zu erinnern, worauf der Aufmerksamkeitsscheinwerfer ausgerichtet werden soll, wenn Abschweifen oder Verschmelzen passiert ist, nachdem wir Abschweifen oder Verschmelzen bewusst bemerkt haben. UND dann an der wohlwollend-interessierten Haltung uns selbst gegenüber wieder orientieren.

Mitfühlend, interessiert-wohlwollend und orientierungsgebendes Beobachten ist die Alternative zum Ringen mit all den Gefühlen und Empfindungen und Gedanken. Durch das Ringen verlieren wir Bewusstheit und verschmelzen vielmer mit dem, was wir zu bekämpfen suchen. Deshalb wird in der Akzeptanz- und Commitmentherapie (ACT) der Wechsel von Autopilot zur Bewusstheit als Scharnier im Umgang mit belastendem inneren Erleben und der gleichzeitigen WERTvollen Ausrichtung des eigenen Lebens gesehen und geübt.

Die gute Nachricht dabei: Das lässt sich üben. UND Achtsamkeit üben wirkt (zu: --> Wissenschaftliche Studie).